- Theosophie und Mystik nach der Reformation
- Theosophie und Mystik nach der ReformationAnsätze einer Verinnerlichung des Glaubens waren bereits in den radikalen spiritualistischen Strömungen im reformatorischen Umfeld zu Tage getreten. Ihre individualistischen Tendenzen verstärkten sich noch in der zeitgenössischen Mystik und Theosophie, die auf ganz verschiedenen Wegen ein Gegenmoment zu den theologischen Kontroversen der Reformation bilden konnten.Die Theosophie wollte eine Verbindung schaffen zwischen den scheinbar unvereinbaren Bereichen der Theologie und der Naturwissenschaft und so die Bereiche des Glaubens und des Wissens miteinander versöhnen. Mit diesen Bestrebungen verknüpfen sich Namen wie Theophrastus Bombastus von Hohenheim, genannt Paracelsus, Agrippa von Nettesheim, sein Zeitgenosse, und - fast ein Jahrhundert später - Jakob Böhme. Paracelsus, der sich wie Agrippa von Nettesheim nicht nur als Mediziner einen Namen machte, sondern ebenso als Theologe und Philosoph, vertrat in der Reformationszeit sogar einen eigenständigen Typus von Reform- und Laienchristentum. In seinen Werken erklärte er die Ursachen der Krankheiten mit einem eigentümlichen Mythos von der Entstehung der Elemente und des Kosmos, die aus den drei Grundstoffen Quecksilber, Salz und Schwefel hervorgingen; deren Mischungsverhältnis im menschlichen Körper mache auch den Unterschied zwischen Gesundheit und Krankheit aus. Trotz seines aus heutiger Sicht seltsamen Ansatzes, der Philosophie, Astrologie, Alchimie und ärztliches Ethos verband, kam Paracelsus zu beachtlichen Behandlungserfolgen und erstaunlichen Einsichten: Seine Medizin beruhte auf Erfahrung, Experiment und Beobachtung; Leib und Seele wurden medizinisch ganzheitlich betrachtet, eine Heilbehandlung musste deshalb immer auch die seelische Seite einschließen.Philosophisch basieren alle drei Theosophen auf dem christlichen Neuplatonismus. Von ihm übernahmen sie sowohl die allem zugrunde liegende Weltseele, wie auch die Entsprechung von Kosmos und Mensch, das heißt von Makro- und Mikrokosmos. Menschliche Selbsterkenntnis konnte zur Erkenntnis der Welt und sogar Gottes führen. Agrippa von Nettesheim bezog daneben noch eine Vielfalt unterschiedlicher Traditionen von ägyptischen Weisheitslehren bis zur Kabbala mit ein, um in seiner Schrift »Über die geheime Philosophie« die magischen Wissenschaften philosophisch zu erschließen. Kosmos, Mensch, Gestirne und Mathematik verband er zu einem Ganzen, in dem die Magie den Aufstieg von der körperlichen zur geistigen Welt ermöglichte. Gleichzeitig kritisierte er die Wissenschaften als der Ethik abträglich und letztlich sogar unvernünftig und hielt gegen die Reformatoren an der Offenbarung als alleiniger Wahrheitsquelle fest. Obwohl seinem Werk die Kritik an der scholastischen Methode und der Kirche als solcher keinesfalls fremd war, ergriff er nicht Partei für die Sache der Reformation. Erst unter dem Eindruck der Hexenprozesse verwies er Magie, Astrologie und Alchimie - trotz seines Hangs zu diesen okkulten Wissenschaften - in den Bereich des Aberglaubens.Der ehemalige Schuhmachermeister Jakob Böhme knüpfte - von Paracelsus beeinflusst - an Astrologie und Alchimie an, um den Prozess zu erläutern, der in seiner Naturphilosophie von Gott zur Erschaffung der materiellen Welt führte. Böhmes Anthropologie beruhte auf einer geistig-moralischen Erneuerung des Menschen, die in der Überwindung der Geschlechtlichkeit von Mann und Frau mündete. Wie die sichtbare Welt ist auch der Mensch Abdruck, Signatur, Gottes, aus dem der Mystiker den dahinter liegenden, verborgenen göttlichen Sinn erschließen muss.Ein Leben, in dem sich Innerlichkeit und kirchliches Engagement verbinden, führte Theresia von Ávila. Mit 20 Jahren aus ihrem Elternhaus ausgebrochen und in ein Kloster der Karmelitinnen eingetreten, meinte sie - nach einer schweren Krankheit - Gottes Anwesenheit unmittelbar zu erfahren. Seither hörte sie Stimmen, hatte Visionen und erlebte mystische Ekstasen. Ihre Mystik war von der Vorstellung getragen, dass Gott sich in allen Dingen findet und dem Menschen auch bei den alltäglichsten Tätigkeiten nahe ist. In einer Zeit, als in Spanien die Inquisition blühte, sprach sie von der Sicherheit des Gewissens und der Freiheit des Geistes. Ursprünglich nur um ihrer Neigung zur Kontemplation besser nachkommen zu können, reformierte sie nach strengen Vorgaben den Frauenorden und erlangte die Erlaubnis des Papstes zur Gründung eines eigenen Ordens, der »Unbeschuhten Karmelitinnen« in Ávila. In den folgenden Jahren gründete sie rastlos 18 weitere Klöster, wobei sie spirituell und organisatorisch bei dem Karmeliter Johannes vom Kreuz Unterstützung fand. Vor allem ihre beiden autobiographischen Werke »Weg der Vollkommenheit« und »Die Seelenburg« wurden Klassiker der spanischen Literatur. In ihnen stellt sie den Aufstieg der Seele zu Gott als Gang durch eine Burg mit vielen Räumen dar, die im Gebet durchschritten werden müssen und an deren Ende die mystische Vermählung mit Gott steht. Während Theresia in ihrer Anfangsphase in einem eher gespannten Verhältnis zur Kirche stand, wurden ihre Mystik und ihr beispielhaftes Leben in der katholischen Reform propagiert, als die Abgrenzung zum Protestantismus zunehmend nötig wurde.Zum Vorkämpfer der Gegenreformation schlechthin wurde der Begründer des Jesuitenordens Ignatius von Loyola. Eine Kriegsverwundung und die anschließende Lektüre von Bibel und Heiligenviten auf dem Krankenlager leiteten für ihn eine Phase der Neubesinnung ein, in der aus dem weltlichen Ritter und Militär ein »Soldat Gottes« wurde. Die aus dem Jahr 1537 überlieferte Vision, in der er sich wie Christus als Sohn Gottes verstehen lernte, ließ ihn sein Leben neu, auf Jesus hin, ausrichten. Diese Christozentrik und die Vorstellung eines immer noch größeren Gottes (»Deus semper maior«), in dem der Mensch alle Dinge suchen und auch finden kann, bildeten die Grundlagen seiner »Geistlichen Übungen«. Als Kernstück dieser praktischen Mystik und damit der Jesuitenmystik überhaupt galt die Tätigkeit in der Welt, die als Dienst an Gott verstanden wurde. Es ist dem Jesuitenorden jedoch nicht immer gelungen, zwischen der persönlichen Suche nach Gott und den Erfordernissen von Kirche und Welt die Balance zu halten, was in seiner Geschichte oftmals zu gravierenden Spannungen führte.Dr. Ulrich Rudnick
Universal-Lexikon. 2012.